Karl Lauterbach tritt durch eine Tür in einen Konferenzraum

Entscheidung im Kabinett Wie die Krankenhausreform aussehen soll

Stand: 15.05.2024 13:53 Uhr

Mit der Krankenhausreform lag dem Kabinett heute die wichtigste Reform von Bundesgesundheitsminister Lauterbach vor. Es gibt viel Bedenken und Widerstand - von Kliniken und aus den Ländern.

Zwischen zwei Kliniken hin- und herpendeln gehört für den Chirurgen Hamid Mofid zum Alltag. Er leitet das Klinikum in Pinneberg in der Nähe von Hamburg und das etwa 15 Kilometer entfernte Krankenhaus in Elmshorn. Je nachdem, wo er gerade gebraucht wird, muss er schnell ins Auto springen, etwa wenn ein Patient im kritischen Zustand ist. Manchmal bis zu dreimal am Tag. 

Das soll sich ändern. Die beiden Kliniken sollen zusammengelegt und ein neues größeres Zentralkrankenhaus gebaut werden. Auch um das Personal effektiver einzusetzen, das sie jetzt doppelt bereithalten müssen. Für Operationen, den Dienstplan, Bereitschaftsdienste: An beiden Standorten brauchen sie Personal und Geräte.  

Schwierigere Eingriffe, etwa bei manchen Krebserkrankungen, machen die Ärzte nur noch an einem der beiden Standorte. Denn je häufiger sie operieren, desto mehr Routine bekommen sie. Eine größere, zusammengelegte Klinik könnte noch mehr Qualität bieten, sagt Mofid. "Diese Vorstellung, man geht in eine sehr ortsnahe Klinik und das ist das Maximale, was man als Patient fordern kann, das ist nicht ganz richtig."

Immer mehr Kliniken schreiben rote Zahlen

In Pinneberg planen sie also längst im Kleinen, was Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach für das ganze Land verspricht: eine große, revolutionäre Krankenhausreform.

Die Politik hat längst erkannt, dass sich einiges ändern muss. Immer mehr Kliniken schreiben rote Zahlen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnt davor, dass allein in diesem Jahr bis zu 80 Kliniken pleitegehen könnten. Außerdem sind sich Fachleute einig, dass es in Zukunft nicht mehr genug Personal geben wird, um so viele Kliniken wie bisher auf einem guten qualitativen Niveau betreiben zu können. 

Andere Finanzierung, mehr Qualität

Die geplante Reform besteht aus zwei großen Eckpfeilern. Zum einen sollen Krankenhäuser in Zukunft anders finanziert werden. Statt pro Behandlung bezahlt zu werden, sollen die Kliniken in Zukunft auch sogenannte Vorhaltepauschalen bekommen. Das bedeutet, dass Krankenhäuser den Großteil des Geldes dafür bekommen, dass sie qualifiziertes Personal bereithalten, bestimmte medizinische Geräte vorhanden sind oder sie zum Beispiel eine Notaufnahme betreiben.

Zum anderen soll die Qualität der Behandlung besser werden. "Wir haben die höchsten Ausgaben pro Kopf für Krankenhäuser in Europa", betont Lauterbach immer wieder. "Wir sind aber bei weitem nicht die Besten."

Der SPD-Politiker will das Gesundheitssystem verbessern. Deswegen soll, vereinfacht gesagt, in Zukunft nicht mehr jede Behandlung in jeder Klinik möglich sein. Der Hebel liegt dabei in der Finanzierung: Es soll strengere Vorgaben geben, etwa für eine bestimmte Anzahl an Fachärzten. Wenn eine Klinik das nicht erfüllt, soll sie kein Geld mehr für bestimmte Eingriffe bekommen. 

Die Idee dahinter: Je spezialisierter eine Klinik ist, je häufiger sie beispielsweise bestimmte Operationen durchführt, desto mehr Routine gibt es und umso höher wird die Qualität. Dabei stützt sich der Gesundheitsminister auf Studien, die zeigen, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich steigt, wenn etwa Schlaganfallpatientinnen und -patienten in spezialisierten Krankenhäusern behandelt werden.

Intensivmediziner: Versorgung auf dem Land nicht gefährdet

Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis ist Mitglied einer Kommission, die die Regierung bei der Krankenhausreform berät. Er glaubt nicht, dass die Versorgung der Menschen in Deutschland in Gefahr ist, wenn durch die Reform auch einige Kliniken schließen müssen. Im Gegenteil, die Versorgung der Patienten könnte sich sogar verbessern, selbst wenn bei einem Notfall die Anfahrt zur Klinik ein wenig länger dauert, sagt Karagiannidis. "Wir müssen die Reform so anlegen, dass der Rettungsdienst den Patienten im optimalen Fall genau dahin bringt, wo ihm qualitativ am besten geholfen wird."   

Einige Kliniken werden sich verändern müssen. Ein Teil der kleineren Krankenhäuser könnte künftig eher eine Art Gesundheitszentrum werden, wo Ärzte weniger aufwendige Eingriffe durchführen. Für Patienten bedeutet das: Bei speziellen Eingriffen müssten sie künftig längere Fahrtzeiten auf sich nehmen, um sich in größeren Klinikzentren behandeln zu lassen.

Zerwürfnis mit den Ländern

Die Krankenhausreform ist eines der zentralen Vorhaben des Bundesgesundheitsministers in dieser Legislaturperiode. Doch die Reform ist ins Stocken geraten.

Das liegt auch daran, dass die Länder Lauterbach die Gefolgschaft verweigern. Lauterbach hatte die Länder früh ins Boot geholt. Es folgten monatelange, zähe Verhandlungsrunden, die im vergangenen Juli zu gemeinsamen Eckpunkten und dem festen Vorsatz führten, gemeinsam das Gesetz zur Krankenhausreform zu schreiben. Davon ist inzwischen keine Rede mehr. Lauterbach hat das Gesetz im Alleingang zu Ende geschrieben - und anders als ursprünglich geplant hat er es so formuliert, dass der Bundesrat nicht zustimmen muss.

Zwar sei man sich in den großen Dingen einig, sagt Kerstin von der Decken, Gesundheitsministerin in Schleswig-Holstein. Sie ist zurzeit Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz. Gestritten wird über viele komplizierte Details. Grundsätzlich wollen sich die Länder nicht zu sehr reinreden lassen vom Bund. "Wir haben als Länder die Verantwortung für eine flächendeckende Versorgung zu sorgen. Dafür brauchen wir Flexibilität", fordert von der Decken.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass beide zuständig sind für Krankenhäuser: Der Bund für die Finanzierung der Behandlungen, die Länder für die Krankenhausplanung. Sie bestimmen also, wo es welche Kliniken gibt. Die Länder kritisieren, dass sie die Folgen der Reform noch gar nicht abschätzen können. Sie befürchten, dass die Versorgung durch die Reform schlechter wird. Auch weil kleine Kliniken, die vor allem auf dem Land für die Versorgung dringend gebraucht werden, pleitegehen könnten.


 

Umstrukturierung kostet Geld

Mehr Geld im System wird es grundsätzlich nicht geben. Das heißt, es wird erst mehr zu verteilen geben zwischen den Kliniken, wenn sich die Gesamtzahl der Krankenhäuser verringert hat. Damit die Reform gelingt, muss ein Teil der Krankenhäuser also umstrukturiert, zusammengelegt oder auch geschlossen werden. Das kostet Geld. Dafür sollen die Krankenkassen und die Länder ab 2026 je 25 Milliarden Euro zur Verfügung stellen.

Auch in den Kliniken in Pinneberg und Elmshorn brauchen sie finanzielle Unterstützung. Sie rechnen mit Kosten im dreistelligen Millionenbereich. Der Bau der neuen Zentralklinik soll 2028 beginnen. In knapp zehn Jahren könnten erste Patienten dort behandelt werden.

Das zeigt auch: Die Krankenhausreform im Kleinen wie im Großen ist noch ein langer Prozess. In vielen Kliniken herrscht Sorge, dass sie bis dahin nicht mehr existieren oder Fachbereiche schließen müssen. Kliniksprecherin Nadine Bielefeldt fordert eine Art Bestandsschutz: "Die Kliniken, die wir jetzt haben, unsere beiden Standorte, müssen ja bis dahin mit all den Fachbereichen und den Behandlungsmöglichkeiten überleben."

So geht es weiter

Lauterbach glaubt nicht, dass die Reform noch scheitern wird. Sie sei inzwischen zu groß und zu bedeutsam. Das wissen auch die Länder. Sie wollen aber Änderungen durchsetzen, zum Beispiel mehr Ausnahmen für Kliniken auf dem Land. Wenn sich die Länder gegen den Bund verbünden, könnten sie die Reform im Bundesrat verzögern und in den Vermittlungsausschuss schicken. Der Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann aus Nordrhein-Westfalen hat sich schon dafür ausgesprochen.

Am Ende könnten aber auch Gerichte entscheiden. Bayern droht bereits mit einer Klage vorm Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. 

Birthe Sönnichsen, ARD Berlin, tagesschau, 15.05.2024 05:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 15. Mai 2024 um 09:00 Uhr auf NDR Info.