Ein älterer Mann tippt auf der Tastatur eines Laptops.

Babyboomer vor Ruhestand Viele Mittelständler fürchten die Rente mit 63

Stand: 15.05.2024 12:48 Uhr

Viele mittelständische Unternehmen machen sich wegen der anstehenden Verrentung der Babyboomer große Sorgen. In einer Umfrage fürchtet fast die Hälfte um ihre Existenz.

Von Jan-Peter Bartels, ARD-Hauptstadtstudio

Rund zehn Meter hoch, voller kleiner Schachteln, erstrecken sich die Regale in das Halbdunkel des Lagerraums. Constanze von Alvensleben ist in der Firma quasi aufgewachsen: Autoteile verkaufen, das kennt sie von klein auf, als Kind hat sie schon auf einem Stapel Autobatterien gespielt.

Jetzt ist sie die Chefin und hat ein Problem: Der Laden läuft und wächst. Nur fehlen ihr Leute. Schon jetzt könnte sie zehn zusätzliche Personen einstellen - und darüber hinaus gehen von ihren rund 50 Mitarbeitern in den kommenden fünf Jahren fast ein Drittel in Rente.

Wenn Fachkräfte fehlten, helfe es nichts, Prozesse klüger zu machen. "Das ist eine wahnsinnige Herausforderung, das auszugleichen", sagt sie. "Natürlich versuchen wir das - wir vereinfachen Prozesse, machen sie intelligenter. Aber ohne den Menschen dahinter, ohne die Fachkraft, hilft der klügste Prozess nichts."

Babyboomer gehen bald in Rente

Und damit ist Wobst Autoteile nicht allein. Das Problem spürt gerade der Mittelstand deutschlandweit: Immer mehr Fachkräfte gehen in Rente. Vor zwei Jahren hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) ausgerechnet, dass es 7,3 Millionen Beschäftigte bis 2032 sein könnten. Es sind die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation, die nun in den Ruhestand gehen - und das teils früher, da die sogenannte "Rente mit 63" winkt.

"Rente mit 63" wurde die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren genannt, da zunächst Menschen mit Geburtsjahr vor 1953 mit ihr im Alter von 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen konnten. Nun liegt die Altersgrenze hierfür bei 64 Jahren und 4 Monaten für 1960 Geborene. Für Jüngere erhöht sich das Eintrittsalter bis 2029 auf 65 Jahre.

Der Mittelstandsverband BVMW hat nun eine Umfrage gemacht, um das Problem in eine Zahl zu fassen. Die ist deutlich: 47,85 Prozent der Unternehmen sagen, dass sie sich existentiell bedroht fühlen durch die vielen Verrentungen in den kommenden Jahren.

37,13 Prozent sind zuversichtlich, Nachfolger für die Neu-Rentner finden zu können. Nur 15,03 Prozent haben eine so junge Belegschaft, dass sie von geringen Folgen ausgehen. Bei der Umfrage haben mehr als 1.200 Unternehmen mitgemacht.

Mehr Flexibilität bei der Rente gefordert

In dem Arbeitskräftemangel könnte auch eine Chance für ältere Arbeitssuchende liegen: Zumindest geben in der Umfrage 97 Prozent der Unternehmen an, dass sie auch bereit wären, Arbeitnehmer aus der Generation 50plus einzustellen - entweder, weil ihnen Lebens- und Arbeitserfahrung besonders wichtig ist (39 Prozent) oder weil ihnen das Alter nicht wichtig sei, solange es passe (58 Prozent).

Der Bundesgeschäftsführer des Mittelstandsverbands BVMW, Christoph Ahlhaus, fordert von der Politik mehr Flexibilität bei der Rente und mehr Anreize für Rentner, die noch arbeiten wollen: "Wir müssen darüber nachdenken, wie wir Leute, die fähig und willens sind, länger im Arbeitsmarkt halten können", sagt Ahlhaus. "Sei es durch attraktive Rahmenbedingungen oder durch politische und gesetzliche Vorgaben."

Lange waren arbeitswillige Rentner unerwünscht

Lange Zeit hatte die Politik den Arbeitsmarkt eher vor arbeitswilligen Rentnern schützen wollen, als Rentnern das Arbeiten zu erleichtern. So gab es eine Grenze, wie viel Frührentner hinzuverdienen konnten. Zudem wurde ein Teil des Zuverdiensts von der Rente abgezogen. Das wurde während der Corona-Pandemie geändert: Die Zuverdienstgrenze wurde 2020 zuerst angehoben und Anfang 2023 komplett abgeschafft - es ging darum, Anreize zu schaffen. Das Ziel: Rentner gegen den Fachkräftemangel.

Doch die Idee hakt in der Praxis: Denn wer nun in den Ruhestand wechselt, muss seine Rente versteuern. Wer zudem weiter arbeitet, rutscht mit seinen Einnahmen schnell in eine weit höhere Steuerklasse als zuvor. Die hohe Abgabenlast senke den Anreiz weiterzuarbeiten, rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft in einer Studie 2023 vor und glaubt nicht, dass so der Fachkräftemangel abgemildert werden kann.

"Wohlstand wirklich gefährdet"

Ähnlich sieht das auch Constanze von Alvensleben, die Geschäftsführerin von Wobst Autoteile aus Gießen. Ihr ist es besonders wichtig, ältere Arbeitnehmer länger im Unternehmen zu halten: "Wir haben hochqualifizierte Fachkräfte im Rentenalter, die noch gerne mitmachen möchten, die sich gesundheitlich fit fühlen, die natürlich auch Geld dazu verdienen möchten", sagt sie.

Von Alvensleben wünscht sich bessere Anreize: "Die Politik macht das derartig unattraktiv für diese Menschen, dass wir da nicht zusammen kommen, und ich sehe nicht nur den Wohlstand unseres Unternehmens, sondern auch unserer Gesellschaft wirklich gefährdet."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 14. Mai 2024 um 14:03 Uhr.