Abfotografierter Bildschirm zeigt Siegle von Focus-Money auf Krankenkassen-Webseite
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Fragwürdige Siegel Wettbewerbszentrale mahnt mehrere Krankenkassen ab

Stand: 16.10.2023 06:00 Uhr

Gesetzliche Krankenkassen werben mit Siegeln wie "Top-Krankenkasse", "Nachhaltigkeits-Champion", die oft von Verlagen vergeben werden. Nach SWR-Informationen hält die Wettbewerbszentrale das in einigen Fällen für irreführend.

"Du kannst uns vertrauen" - mit diesem Slogan wirbt die "Bundesinnungskasse Gesundheit", kurz "BIG direkt gesund", öffentlichkeitswirksam auf ihrer Website. Darunter: Mehrere Werbe-Siegel, die jüngst das Magazin "Focus Money" vergeben hat.

Eines davon lautet "Top-Krankenkasse". Schaut man sich das entsprechende Ranking an, stellt man allerdings fest: Die "BIG direkt gesund" landet auf Platz 19 von insgesamt 64 geprüften Kassen. Ist man damit wirklich "Top-Krankenkasse"?

Für eine Bewertung hat der SWR dieses und andere Beispiele der Wettbewerbszentrale vorgelegt - einer Selbstkontrollinstitution der deutschen Wirtschaft. Im Fall "BIG direkt gesund" sieht die zuständige Juristin Christiane Köber einen klaren Verstoß gegen das gesetzlich geregelte Verbot der irreführenden Werbung: "20 Kassen haben die Bezeichnung 'Top-Krankenkasse' erhalten. Doch zwischen Platz 1 und 20 gibt es erhebliche Unterschiede in der Punktzahl. Anders müsste man das einstufen, wenn die 20 Krankenkassen alle ähnliche Punktzahlen hätten," so ihre Einschätzung.

Die Wettbewerbszentrale forderte die "BIG direkt gesund" nun per Abmahnung auf, die Werbung mit dem Siegel zu stoppen. Die Kasse schreibt dazu auf SWR-Anfrage, man habe "auf die Bezeichnung und Kategorisierung durch Focus Money […] keinen Einfluss." In einer weiteren Mitteilung heißt es, für den Terminus "Top" gebe es "keine allgemein gültige Definition". Schließlich gebe es auch bei Radio-Charts Kategorien wie "Top 40" oder "Top 100". Der Aufforderung der Wettbewerbszentrale werde man nicht nachkommen.

Nach Abmahnung: Krankenkasse entfernt Siegel

Auch die "Pronova BKK" - im Ranking auf Platz 18 - hatte entsprechende Werbung auf ihrer Website platziert und wurde von der Wettbewerbszentrale abgemahnt. Die Kasse will sich wegen des laufenden Verfahrens nicht weiter dazu äußern. Allerdings ist das Siegel "Top-Krankenkasse" inzwischen nicht mehr auf der entsprechenden Seite zu finden. Laut Wettbewerbszentrale gab die Kasse inzwischen eine Unterlassungserklärung ab.

Einen weiteren Fall von Irreführung sieht die Wettbewerbszentrale bei der Berliner "BKK VBU". Sie wirbt mit dem Siegel "Leistung für Familien" von "Focus Money", bei dem sie die Note "sehr gut" erhielt. Im entsprechenden Ranking liegen allerdings Kassen mit der Auszeichnung "exzellent" vorn.

"Der Verbraucher legt der Benotung die Schulnotenskala zu Grunde und wird erwarten, dass es sich bei 'sehr gut’ um die Bestnote handelt," so die Auffassung der Wettbewerbszentrale in einer entsprechenden Abmahnung. Die "BKK VBU" will diese nun prüfen.

Der zuständige Burda-Verlag teilt dem SWR dazu mit, er könne sich zu den konkreten Abmahnungen nicht äußern, da ihm diese nicht bekannt seien. Rankings und Tests seien fester Bestandteil von "Focus" oder "Focus Money" und böten Lesern und Verbraucherinnen Orientierung. Man achte auf eine "hohe Aussagekraft unserer Bewertungen".

Systematischer Label-Missbrauch?

Nach SWR-Recherchen gibt es viele weitere Rankings und Siegel mit wohlklingenden Auszeichnungen. Für Jürgen Stellpflug vom Verein "Testwatch - Die VerbraucherNützer" hat das System. Er spricht von einem "Missbrauch mit Labeln" und "Verbrauchertäuschung". Seine Einschätzung im Interview mit dem SWR: "Es werden möglichst viele Label mit guten Noten generiert, um diese dann verkaufen zu können." Er sieht es kritisch, dass gesetzliche Krankenkassen dafür zahlen, mit fragwürdigen Siegeln werben zu können. Denn die Kassen finanzierten sich schließlich mit dem Geld ihrer Versicherten.

Werbung mit Prüfsiegel gegen Geld

Im Februar wurde durch ein Urteil des Landgerichts München (4 HK O 14545/21) bekannt, dass im Fall der Verwendung des Siegels "Top-Mediziner" 1.900 Euro verlangt wurden. Geklagt hatte in dem Fall die Wettbewerbszentrale - wegen mutmaßlich irreführender Vergabe des Gütesiegels im Magazin "Focus". Der zuständige Burda-Verlag verteidigt auf SWR-Anfrage das Modell der Werbung mit Siegeln gegen Geld. Der Aufwand für Entwicklung und Durchführung von Tests sei hoch. Die Lizenzgebühren erstreckten sich je nach Branche und Aufwand "über eine große Bandbereite".

Doch selbst unter Krankenkassen, die mit den Siegeln werben, gibt es Zweifel an diesem Geschäft - etwa bei der nun abgemahnten "BIG direkt gesund". Das Angebot an Siegeln nehme "von Jahr zu Jahr" zu, heißt es in der Stellungnahme. Ihr selbst gehe es nicht darum, "eine möglichst hohe Menge an Siegeln abzubilden". Allerdings könne man sich diesem Mechanismus aus Wettbewerbsgründen nicht entziehen.

Andere Kassen betonen gegenüber dem SWR, man stehe in einem Wettbewerb, der vom Gesetzgeber gewollt sei. Entsprechend wolle man auch mit Hilfe von Prüfsiegeln etwa auf bestimmte Serviceangebote aufmerksam machen.   

Umstrittene Datengrundlage

Bei den Prüfsiegeln steht bisweilen auch die Datengrundlage in der Kritik. In der Entscheidung des Landgerichts München zu den "Top-Medizinern" heißt es, es werde der "irreführende Eindruck erweckt, es gebe tatsächliche, objektiv nachprüfbare Kriterien, die zur Verleihung des Gütesiegels geführt haben", so das Gericht. Kritisch sieht das Gericht etwa, dass eher subjektive Kriterien wie Kollegen-Empfehlungen in die Bewertung einfließen. Der Burda-Verlag verteidigt dieses Vorgehen und sieht insgesamt eine "hochwertige Methodik der Ärztelisten und die Zulässigkeit der darauf basierenden Siegel". Der Verlag geht rechtlich gegen das Urteil aus München vor.

Die Wettbewerbszentrale sieht auch bei Siegeln für Krankenkassen mitunter eine kritische Datengrundlage. Die "IKK Classic" wirbt mit dem Siegel "Nachhaltigkeits-Champion", das von der Zeitung "Die Welt" vergeben wird. Grundlage dafür ist eine Verbraucherbefragung. "Das erwartet man bei einem solchen Siegel ja nicht. Man erwartet, dass ein neutraler Dritter nach objektiven Kriterien die Nachhaltigkeit prüft," so die Einschätzung von Juristin Köber.  Zwar werde im Kleingedruckten auf die "Verbraucherbefragung" hingewiesen. Dies gehe im Gesamtzusammenhang jedoch "völlig unter."

Die Wettbewerbszentrale hat auch die "IKK Classic" inzwischen abgemahnt. Die Kasse äußert sich dazu auf SWR-Anfrage konkret nicht. Nur so viel: Man halte sich an die gesetzlichen Vorgaben. Der für die "Welt" zuständige Axel Springer Verlag teilte dem SWR in einer Stellungnahme mit, es würden "alle Informationen zu dieser breit angelegten Untersuchung bzw. diesem Siegel mit hoher Transparenz offengelegt".

"Knappschaft" intern besorgt über mangelnde Kundenzufriedenheit

Die werbewirksame Außendarstellung ist das eine. Dass manche Kasse intern über ganz andere Umfrageergebnisse diskutiert, zeigt das Beispiel "Knappschaft", die rund 1,4 Millionen Versicherte hat. Auf ihrer Website wirbt sie mit den Auszeichnungen "Von Kunden empfohlen" oder "Höchste Kundenzufriedenheit" von "Focus Money".

SWR-Recherchen zeigen: Intern ist man besorgt, weil andere Umfragen zu nicht ganz so positiven Ergebnissen kommen. So heißt es in einem Protokoll einer Sitzung der Geschäftsführung vom April 2021: "Die Bewertungen der 'Knappschaft' in den GKV-weiten Befragungen rund um das Thema Zufriedenheit und Service sind teilweise deutlich eingebrochen".

Nur eine "Momentaufnahme"?

Im November 2022 berichtete ein Mitarbeiter der Geschäftsführerin in einer E-Mail von Umfrageergebnissen, die sich "weiter verschlechtert" hätten. Demnach war die "Knappschaft" beim so genannten "Kundenmonitor Deutschland" in der Kategorie "Globalzufriedenheit" über die Jahre von Platz 5 (2016) auf Platz 20 (2022) gefallen.

Veröffentlicht hat die "Knappschaft" die jüngsten Ergebnisse allerdings nicht. Damit konfrontiert, teilte die Krankenkasse dem SWR mit, dass Kundenbefragungen "immer eine Momentaufnahme" seien. Ergebnisse aus dem "Kundenmonitor" seien nicht vergleichbar mit anderen Kassenvergleichen, etwa von "Focus Money". Seit 2020 nutze man die "Kundenmonitor"-Ergebnisse nur "zur internen Qualitätsüberprüfung". Zwei Jahre zuvor hatte die "Knappschaft" noch mit den für sie eher positiven Ergebnissen auf ihrer Website geworben.

Eric Beres, SWR, tagesschau, 16.10.2023 10:00 Uhr