Eine Gruppe von Meditierenden
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Risiken der Achtsamkeit Krank durch Meditation?

Stand: 19.03.2024 06:01 Uhr

Bei manchen kann intensive Meditation psychische Leiden verursachen. Das überwiegend positive Bild von Meditation führt dazu, dass es für Betroffene schwierig ist, bei Nebenwirkungen gehört zu werden, wie SWR-Recherchen zeigen.

Von Linda Huber, SWR

Millionen Menschen in Deutschland meditieren regelmäßig. Die Angebote reichen von Apps über Onlinekurse bis hin zu Meditation in Studios und mehrtägigen Angeboten in Retreats. Laut einer Umfrage von Statista Consumer Survey hat fast jeder Vierte im Alter von 18 bis 64 Jahren eine Meditationsapp auf seinem Handy. Aus einer buddhistischen Tradition ist längst ein Massenphänomen geworden, der Markt für Achtsamkeit boomt.

Meditation wird dabei oft als Heilmittel gegen Stress und psychische Beschwerden gepriesen. Doch neuere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass intensive Meditation auch schwere psychische Nebenwirkungen auslösen kann. Diese Seite wird oft ignoriert oder bagatellisiert, wie Recherchen des Investigativformats Vollbild ergaben.

Jeder zehnte Meditierende leidet unter Nebenwirkungen

Die US-amerikanische Psychologin Willoughby Britton von der Brown University konnte in einer zehnjährigen Langzeitstudie nachweisen, dass etwa jeder zehnte Meditierende Nebenwirkungen entwickelt, die ihn im Alltag stark einschränken. Angst, traumatische Flashbacks und Hypersensibilität sind laut Britton die häufigsten Nebenwirkungen von Meditation.

Auf unerwünschte Nebenwirkungen von Meditation weisen auch deutsche Untersuchungen hin: Eine Studie einer Arbeitsgruppe der Charité Berlin stellte anhand von 1.397 meditierenden Probanden fest, dass insgesamt 22 Prozent unerwünschte Effekte hatten. Davon wurden rund neun Prozent als mild und temporär eingestuft, während immerhin 13 Prozent moderate bis extreme gegenteilige Effekte hatten, die eine Behandlung notwendig machten, andauernd waren oder sogar Krankenhausaufenthalte erforderten.

Negative Auswirkungen oft unterschätzt

Forschungsarbeiten zu Meditation haben in den vergangenen 20 Jahren mehrheitlich positive Effekte wie die Reduzierung von Stress oder Depressionen aufgezeigt. Die Psychologin Britton kritisiert die Forschung zu kontemplativen Praktiken und weist darauf hin, dass die negativen Auswirkungen von Meditation oft unterschätzt würden. Das führe dazu, dass mögliche Risiken und Nebenwirkungen oft vernachlässigt würden.

In Deutschland gibt es seit zwei Jahren eine erste Anlaufstelle für Opfer von Meditationsnebenwirkungen am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg. Die Psychologen Ulrich Ott und Liane Hofmann riefen die Anlaufstelle ins Leben. Sie berichten, die Sprechstunde werde bereits stark genutzt, der Leidensdruck vieler Betroffener sei hoch. Die Psychologen vermuten eine hohe Dunkelziffer von Betroffenen und gehen von einem großen Beratungsbedarf in Deutschland aus.

Panikattacken, Klinikaufenthalt, Suizid nach Meditation

Vollbild hat mit mehreren Betroffenen gesprochen, die nach intensiver Meditation schwere psychische Probleme entwickelt haben und in einer Klinik behandelt werden mussten. Ein 26-jähriger Student aus Wiesbaden schildert, dass er nach intensiven Meditationen mit einer App Panikattacken entwickelte und in einer Klinik behandelt werden musste. Eine 28-jährige Promotionsstudentin aus Düsseldorf berichtet, dass sie nach einem intensiven Retreat Wahnvorstellungen entwickelte und zum stationären Aufenthalt in eine Klinik gegangen ist.

Ein besonders drastischer Fall aus Kanada zeigt extreme Folgen: Eine junge Frau verließ ein zehntägiges Meditationsretreat vorzeitig und nahm sich das Leben. Ihre Mutter berichtet, dass sich ihre Tochter bereits während des Retreats unwohl fühlte. Das Meditationszentrum erklärt auf Anfrage, man sei tief betroffen über den tragischen Vorfall. Die Lehrenden seien geschult, Anzeichen psychischen Ungleichgewichts zu erkennen, außerdem fordere man Schülerinnen und Schüler nicht auf, weiter zu meditieren, wenn sie in Not seien.

Verantwortung bei Meditierenden gesehen

Das überwiegend positive Image von Meditation führt oftmals dazu, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, bei Nebenwirkungen gehört und verstanden zu werden, und dass Anbieter häufig die Verantwortung bei den Meditierenden sehen.

Das beobachtet auch die US-Forscherin Britton: "Die Schuldzuweisung an das Opfer ist wahrscheinlich die häufigste Reaktion. Das gibt es in vielen verschiedenen Varianten." Oft werde gesagt, die Person habe die Probleme bereits mitgebracht. Somit seien das Retreat oder der Anbieter nicht verantwortlich. Oder die Person habe falsch meditiert. "Der normale Meditationslehrer will hilfreich sein, und dann zu hören, dass man Schaden angerichtet hat, das ist eine sehr schwierige Art von Feedback", so Britton.

Die Psychologen Ott und Hofmann kritisieren, dass Meditationsanbieter oft die Verantwortung für mögliche Nebenwirkungen von sich weisen: "Es ist natürlich auch die Verantwortung der Anbieter, vorab zu gucken, sind die Leute psychisch gesund, sind sie stabil und nicht mit so einer Ausschlussklausel jede Verantwortung von sich zu weisen", sagt Ott. Oft heiße es jedoch bei den Angeboten: "Teilnahme auf eigene Gefahr. Damit wird ja die Verantwortung ganz klar den Teilnehmern zugeschanzt", so Ott.

Keine verpflichtende Ausbildung, keine Kontrolle

Wie wenig auf Risiken hingewiesen wird, zeigt auch eine verdeckte Recherche: Vollbild fragte im Selbstversuch bei rund 20 Meditationsanbietern einen Kurs an und gab an, dass die vermeintliche Interessentin psychische Probleme habe. Nur wenige rieten, vorab einen Arzt oder Therapeuten aufzusuchen. Auf den Webseiten der Anbieter gab es vorab keinerlei Hinweise zu Risiken und Nebenwirkungen von Meditation.

In Deutschland gibt es den Verband der Achtsamkeitslehrenden mit acht Ausbildungsinstituten und rund 1.000 Achtsamkeitslehrern. Laut Vollbild-Recherchen sind unerwünschte Nebenwirkungen von Meditation hier ein Thema in der Ausbildung. Doch die Ausbildung ist freiwillig. Jeder, der will, kann Meditation anbieten. Kontrollen gibt es keine. Auch deswegen sind viele Meditationslehrerinnen und -lehrer bei psychischen Schäden und Nebenwirkungen bei Meditationen offenbar überfordert.

Der Film zum Thema ist abrufbar in der ARD-Mediathek.

Linda Huber, SWR, tagesschau, 19.03.2024 06:34 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 19. März 2024 um 08:43 Uhr.