Wie eine App auf dem langen Weg zum Wunschkind helfen kann

Stand: 23.04.2024 08:45 Uhr

Viele Jahre versucht Friederike von Bredow aus Kiel schwanger zu werden. Erst natürlich, dann mit Hilfe. Ihren Schmerz aus dieser schwierigen Zeit hat sie genutzt, um jetzt anderen Betroffenen zu helfen - auch per App.

von Lisa Pandelaki

Schon als Kind ist sich Friederike von Bredow sicher, dass sie Mama werden will. Dass sie an diesem Wunsch fast zerbrechen, ihre Identität fast verlieren wird, ahnt sie da natürlich noch nicht. Mit 24 Jahren entscheidet die Kielerin zusammen mit ihrem Mann, dass der Traum vom Eltern-Sein jetzt in Erfüllung gehen soll. Doch es klappt nicht - auch nicht mit hormoneller Unterstützung.

"Ich bin gar nichts mehr wert"

Ärzte finden keine Ursache, geben Friederike von Bredow selbst die Schuld an ihrer Situation. Erst nach über einem Jahr Hormonbehandlung stellen sie eine seltene Hormonstörung fest. "Ich bin nur noch eine halbe Frau oder eine viertel Frau", betitelt sie sich in der Zeit selbst. "Ich bin eigentlich kaputt und ich bin gar nichts mehr wert."

Zu ihrem Mann sagt sie Sachen wie: "Ich würde mir an deiner Stelle eine neue Frau suchen." Nach außen hin habe sie einfach funktioniert, aber innerlich habe sie sich vor der Welt versteckt, erinnert sich die 43-Jährige.

Tiefpunkt: Medizinische Hilfe schlägt nicht an

Nach der Diagnose geht das Paar den nächsten Schritt: Die Befruchtung außerhalb des weiblichen Körpers. Dafür werden der Frau nach einer Hormontherapie möglichst viele Eizellen entnommen, mit dem Sperma des Mannes befruchtet und dann wieder in die Gebärmutter eingesetzt.

Was hier in einem Satz beschrieben wird, bedeutet in der Realität eine wochenlange Behandlung der Frau inklusive einer Narkose für die Entnahme der Eizellen. Eine körperliche und emotionale Herausforderung.

Bei Friederike von Bredow steht nach der Narkose fest: Trotz der Hormone konnte keine einzige Eizelle entnommen werden. Der absolute Tiefpunkt. "Wir mussten uns da schon damit auseinandersetzen, was passiert, wenn auch die medizinische Hilfe nichts machen kann?"

Therapeuten raten zu Urlaub und Entspannung

Viele in ihrem Umfeld kommen mit Friederike von Bredows Situation nicht klar. Und Fachärzte scheinen mit der emotionalen Seite der Thematik teilweise überfordert. Therapeutische Hilfe gibt es damals kaum. "Die Therapeuten, die es damals so gab, haben blöde Kommentare gemacht wie 'Geben Sie es auf', 'Lassen Sie es los', 'Entspannen Sie sich mal, dann klappt es auch', 'Fahren Sie in den Urlaub', 'Kaufen Sie sich einen Hund' oder 'Man kann auch ohne Kinder glücklich werden'". Friederike von Bredow schüttelt heute noch den Kopf, wenn sie daran denkt.

Sie selbst ist zu dem Zeitpunkt bereits ausgebildete Pädagogin und Psychotherapeutin, allerdings noch ohne die Spezialisierung auf Kinderwunschpatientinnen und -patienten wie heute. Das Verrückteste, was sie erlebt habe, sei eine Therapeutin gewesen, die ihr erklärte, sie müsse Verstrickungen lösen, die sieben oder acht Generationen vorher entstanden seien, damit sie in dieser Generation schwanger werden könne. Kostenpunkt: ab 800 Euro. An diesem Punkt entscheidet Friederike von Bredow: Es muss sich etwas ändern.

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Spermien und Eizelle © Fotolia.com Foto: Tatiana Shepeleva

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Plan B: Adoption

Friederike von Bredow und ihr Mann stellen einen Adoptionsantrag. Sie schmiedet Plan B: "Ich muss wissen, was passiert in meinem Leben, damit ich psychisch nicht hops gehe. Was werde ich machen, wenn ich kein Kind bekommen kann?" Sie überlegt, Journalismus zu studieren, sich in der Therapie auf Kinderwunschpatientinnen und -patienten zu spezialisieren und "aus dem Schmerz etwas Gutes zu machen".

An diesem für sie absoluten Tiefpunkt, nimmt sich Friederike von Bredow einen Schuhkarton. Dann schreibt sie nach und nach aus ihren ganz persönlichen Erfahrungen auf: Was hilft in ihrer Situation und was nicht. All das schreibt sie auf kleine Zettel und legt sie in den Schuhkarton. Zettel für Zettel erinnert sie sich so wieder selbst daran, was sie als Mensch ausmacht. Wer sie ist - neben dem Kinderwunsch. Sie trauert um das, was sie scheinbar nicht haben kann. Und sie heilt sich.

Wunder wird wahr: Von Bredow bekommt zwei Kinder

Als der Adoptionsantrag gestellt ist und das Warten beginnt, bittet ihr Mann um einen letzten Versuch mit künstlicher Befruchtung. "Er brauchte noch einen letzten Versuch, einen letzten Abschiedsversuch und der letzte Abschiedsversuch ist letzte Woche 14 Jahre alt geworden", erzählt sie und es wirkt, als könne sie ihr Glück immer noch nicht fassen. Wie genau es passiert ist, kann sie gar nicht verstehen. Bei dem Versuch können drei Eizellen entnommen werden, nur zwei davon sind überhaupt befruchtbar und aus einer entwickelt sich tatsächlich ein Baby. Ein Jahr nach der Geburt versuchen sie es ein weiteres Mal. Wieder dauert es Jahre. Doch das Wunder passiert ein zweites Mal. Heute ist Friederike von Bredow zweifache Mutter. Ihre Ehe ist unter dieser schweren Belastung allerdings zerbrochen.

Der Zettelberg mündet in eine App

Der Zettelberg in ihrem Schuhkarton wächst während all der Jahre weiter. Als sie sich als Kinderwunsch-Therapeutin fortbildet und auch, als sie erste Patientinnen und Patienten behandelt, hält sie immer wieder wichtige Erkenntnisse fest. "Diese Lebenskrise darf nicht umsonst gewesen sein", sagt sie sich immer wieder. Und die Nachfrage nach therapeutischer Begleitung rund um das Thema unerfüllter Kinderwunsch ist groß.

Die Startseite in der Kinderwunsch-App. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Von Bredows App soll Menschen mit Kinderwunsch auf ihrem Weg begleiten.

Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums ist in Deutschland fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Neben ihrem Team gibt es laut von Bredow in Schleswig-Holstein nur eine weitere Praxis, die sich auf Kinderwunsch-Patientinnen und -patienten spezialisiert hat. Im ländlichen Raum gibt es keine Ansprechpartner. Und längst nicht alle Betroffenen bekommen einen Therapieplatz oder können ihn sich überhaupt leisten. Um diese Lücke zu schließen und auch die Zeit zwischen Therapie- oder Behandlungsterminen zu überbrücken, hat Friederike von Bredow eine App entwickelt - das Ergebnis der Zettelsammlung in ihrem Schuhkarton.

Die Botschaft der App: Hört nicht auf, zu leben!

Die App ersetze keine Therapie, stellt sie klar. Aber sie kann unterstützen. "Die App zielt darauf ab, den Frauen und Männern das Gefühl zu vermitteln: Während ihr wartet und alles dafür tut, dass es klappt, eure Termine einhaltet, eure Spritzen setzt und engagiert zu den Ärzten geht: Hört nicht auf zu leben. Ihr seid so viel mehr als Kinderwunschpatienten."

Es ginge darum, die Partnerschaft und die eigene Identität zu stärken, neue Glaubenssätze zu finden. Das könne sein, sich beispielsweise auch als Seglerin, Näherin oder Freundin zu definieren. Oder auch etwas ganz Banales wie "Ich kann gut Marmelade kochen". Es gehe darum, sich neben dem Kinderwunsch wieder selbst zu finden.

Herzstück der App ist ein Tagebuch

Zweieinhalb Jahre hat sie zusammen mit dem Kieler Start-up Simplify Data an der App gebastelt. Rund 10.000 Euro Kapital sind hineingeflossen. Seit Mitte März steht sie für knapp 18 Euro zum Download zur Verfügung. Das ist zwar vergleichsweise viel für eine App, entspricht aber in etwa den Kosten für einen Ratgeber in Buchform. Werbeeinnahmen oder ähnliches hat Friederike von Bredow durch die App nicht. Persönliche Daten müssen nicht angegeben werden.

Eine lächelnde Frau sitzt in einem hellen Raum in einem Sessel. © NDR Foto: Lisa Pandelaki
Das Durchhalten hat sich für Friederike von Bredow gelohnt.

Das Herzstück der App ist ein Tagebuch. Erkenntnisse daraus können automatisch in den Kalender übernommen werden. So erinnert die App immer wieder daran und sie geraten nicht in Vergessenheit. "Wenn ich mir morgens vorgenommen habe, meinem Partner öfter Danke zu sagen, dann habe ich das bis abends vielleicht schon wieder vergessen", erklärt Friederike von Bredow den Gedanken hinter dieser speziellen Funktion. Die App erinnere dann daran, um aus den Gedanken nachhaltige Verhaltensmuster zu etablieren. Daneben gibt es Tipps und Tools, "die dich nicht schwanger machen, aber dir möglicherweise helfen, entspannter und leichter durch deine Kinderwunsch-Zeit zu kommen."

Das Durchhalten hat sich gelohnt

Friederike von Bredow wirkt glücklich. Wenn sie heute in ihrem maritim eingerichteten Therapie-Zimmer mit den gemütlichen blauen Sesseln sitzt und die Sonne durch das große Fenster strahlt, scheint es, als könnte sie nichts mehr aus der Bahn werfen. Das Durchhalten hat sich gelohnt. Denn sie hat es geschafft, sich auf dem langen Weg zum Wunschkind nicht selbst zu verlieren. Neben dem Glück, Kinder zu haben und wieder verheiratet zu sein: Sie weiß, wer sie ist, auch neben dem Mutter-Sein und gibt all ihre Erfahrungen und das dadurch gewonnene Mitgefühl nur zu gerne weiter. Im persönlichen Gespräch oder eben auch über ihre App.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 23.04.2024 | 19:30 Uhr

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