Ein Mann schüttet Farbe in einen Farbeimer.

Asylsuchende Besser freiwillig als Pflicht zur Arbeit?

Stand: 19.03.2024 16:38 Uhr

Sollen Geflüchtete gemeinnützige Arbeiten erledigen müssen? Nein, sagt die Verbandsgemeinde Gau-Algesheim in Rheinland-Pfalz. Sie setzt auf Freiwilligkeit - und das klappt.

Von Sandra Biegger, Luisa Szabo und Diana Deutschle, SWR

Bernd Daum steht in einer leeren Flüchtlingsunterkunft der Verbandsgemeinde Gau-Algesheim und gestikuliert. "Ghassan, ihr könnt hier schon mal anfangen zu streichen", sagt er und zeigt auf eine fleckige weiße Wand. "Die anderen fangen dann dort an abzukleben, und dann halt Raum für Raum, okay?"

Daum arbeitet beim Sozialamt. Die zehn Frauen und Männer, die ihm aufmerksam zuhören, sind Geflüchtete. Sie stammen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und der Ukraine. Die Asylsuchenden verteilen sich auf verschiedene Räume und fangen an abzukleben, zu streichen, zu putzen. Es ist nicht das erste Mal, dass die Verbandsgemeinde die Geflüchteten zu gemeinnützigen Arbeiten heranzieht - auf freiwilliger Basis.

Abwechslung zum Lernen

Der 39-jährige Ghassan Hussein ist mit Feuereifer bei der Sache. Er ist vor vierzehn Monaten aus Syrien nach Deutschland gekommen. In seinem Heimatland hat er bereits als Handwerker gearbeitet. Zeugnisse, Diplome oder Abschlüsse kann er aber nicht vorweisen. Im Moment lernt er hauptsächlich Deutsch - erst kürzlich hat er die B1-Sprachprüfung bestanden. Damit wurde ihm bescheinigt, dass er selbständig und sicher spricht und Unterhaltungen gut folgen kann.

Doch Hussein will mehr. Um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, arbeitet er jetzt auf das nächsthöhere Sprachniveau hin: B2. Die freiwilligen Arbeitseinsätze sind für ihn eine willkommene Abwechslung zum Lernen. Der Syrer sagt, er sei schließlich nicht nach Deutschland gekommen, um herumzusitzen.

Ein Mann streicht eine Zimmerdecke.

Die Anfrage kommt per WhatsApp: Meist melden sich sehr schnell Geflüchtete, die freiwillig helfen wollen.

Ein positiver Nebeneffekt: Hussein hat bei einem seiner früheren Arbeitseinsätze Mohamad Khan kennengelernt und sich mit ihm angefreundet. Der IT-Fachmann aus Pakistan lebt in einer anderen Flüchtlingsunterkunft in Gau-Algesheim. Auch er meldet sich regelmäßig, wenn es in der Gemeinde etwas zu erledigen gibt.

Der 28-Jährige will damit Deutschland auch etwas zurückgeben: "Deutschland gibt uns viele Sachen - die Wohnung und Soziales. Es ist unsere Verantwortung, wir müssen zurückhelfen." Das gemeinsame Arbeiten ist für ihn aber auch eine Möglichkeit, sich mit anderen Geflüchteten auszutauschen, Sorgen und Nöte zu besprechen, sich Ratschläge zu holen.

Schnell und unbürokratisch

Gau-Algesheim zieht seit zwei Jahren Asylsuchende regelmäßig zu leichteren Arbeiten heran. Bernd Daum vom Sozialamt von Gau-Algesheim hat dazu eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet. Aktuell hat diese etwa 50 Mitglieder. Insgesamt leben in der rheinhessischen Verbandsgemeinde 250 Geflüchtete, die noch keine reguläre Arbeit haben.

Gibt es etwas zu tun, schreibt Daum beispielsweise: "Hi Ihr Lieben, morgen bräuchte ich circa acht Leute, die um 8 Uhr arbeiten können. Es ist dringend, wer kann?"  Die Antworten kommen meist prompt: "Ich komme", "Habe Zeit", "Meine Mutter kommt".

Kurz mal aus der Patsche geholfen

Das Ganze sei ein Selbstläufer auf freiwilliger Basis, erzählt der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Gau-Algesheim, Benno Neuhaus. Die Gemeinde bekomme auf ihre Aufrufe immer sehr schnell sehr viele Rückmeldungen, so der CDU-Politiker.

Oftmals übersteige die Zahl der Freiwilligen sogar die Zahl der benötigten Arbeitskräfte. Und das, obwohl es für die Einsätze nur eine Art Taschengeld gibt. Wie hoch das genau ist, will der Bürgermeister nicht sagen. Die Aufgaben, für die Asylbewerber herangezogen werden, sind vielfältig.

Benno Neuhaus

Für Bürgermeister Benno Neuhaus (CDU) ist die Arbeit auf freiwilliger Basis ein Selbstläufer.

Neuhaus schildert, wie die Geflüchteten der Gemeinde im vergangenen Sommer aus einer Notlage geholfen haben: "Wir hatten während der Sommerferien eine große Baumaßnahme an einer Grundschule, und am Freitag vor Beginn des neuen Schuljahres waren die Arbeiten erledigt." Alles habe noch nach Baustelle ausgesehen. "Es haben sich sofort 20 Leute gemeldet, die gesagt haben: Klar, wir kommen, wir machen das. Und am Montag war der Schulhof picobello."

Zurückhaltende Kommunen?

Die Diskussion darüber, ob Geflüchtete zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden sollen, ist nicht neu. Zuletzt nahm sie wieder Fahrt auf, nachdem der Landrat des ostthüringischen Saale-Orla-Kreises, Christian Herrgott, angekündigt hatte, dass er Flüchtlinge täglich vier Stunden arbeiten lassen will - für 80 Cent die Stunde. Wer nicht wolle, dem drohten finanzielle Konsequenzen.

Die Debatte über das Für und Wider einer Arbeitspflicht waren so heftig, dass beinahe unterging, dass das Asylbewerberleistungsgesetz diese Möglichkeit schon seit Jahrzehnten vorsieht. Eine Tatsache, auf die unter anderem die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, hinweist.

Die frühere SPD-Spitzenpolitikerin sagt, die Arbeitsaufnahme von Geflüchteten in Unterkünften sei schon seit Jahren rechtlich möglich, werde von Kommunen allerdings eher zurückhaltend genutzt. Im Asylbewerbungsleistungsgesetz steht auch, dass Geflüchtete für gemeinnützige Arbeit in der Regel 80 Cent pro Stunde verdienen.

Stephan Wefelscheid von den Freien Wählern in Rheinland-Pfalz ist der Überzeugung, dass viele Kommunen nicht wüssten, dass sie Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten können. Er findet, das sei eine verpasste Chance - einerseits für die Kommunen. Schließlich liefen bei denen häufig Klagen darüber auf, dass Müll herumliege oder an Parkbänken der Lack abgeplatzt sei.

Diese Missstände könnten auch Arbeitskräfte aus dem Ausland ohne große Anlernphase beheben, ist sich Wefelscheid sicher. Andererseits glaubt er auch, dass die Geflüchteten profitieren könnten, weil es ihnen ein gutes Gefühl gebe, sich mit gemeinnütziger Arbeit bei den Menschen zu revanchieren, die für sie sorgten.

Wefelscheid, der auch Stadtrat in Koblenz ist, fordert von der rheinland-pfälzischen Landesregierung, dass sie Kommunen einen Katalog mit Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge an die Hand gibt. Das sächsische Innenministerium hat bereits 2015 einen entsprechenden Leitfaden für Landkreise und Kommunen veröffentlicht, inklusive einer Liste mit Jobs wie Unkraut jäten, Laub beseitigen, Rad- und Wanderwege sauber halten.

"Rassistische Betrachtungsweise"

Annika Kristeit vom Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz hat mit der verpflichtenden gemeinnützigen Arbeit ein Problem. "Das sind Jobs, die ganz viele von den Deutschen, die hier leben, nicht verrichten wollen, und die jetzt bitte gefälligst die Ausländer übernehmen sollen", sagt sie. "Und das ist eben eine rassistische Betrachtungsweise. Dass die Menschen, die hierherkommen, jetzt die Sachen machen sollen, die wir nicht machen wollen."

Dabei steht Kristeit gemeinnütziger Arbeit nicht prinzipiell ablehnend gegenüber. Wichtig ist für sie allerdings, dass sich Geflüchtete freiwillig dafür entscheiden können. Das sei ein Weg, sich auf Augenhöhe zu begegnen.

Arbeitspflicht zuviel Mehraufwand

Auch in Gau-Algesheim will niemand Geflüchtete zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten - allerdings aus anderen Gründen. Denn das würde nach Auskunft von Verbandsbürgermeister Benno Neuhaus für die Gemeinde einen Mehraufwand an Organisation und Personal bedeuten, der nicht zu stemmen sei.

An den freiwilligen Arbeitseinsätzen will Neuhaus allerdings festhalten. Nicht zuletzt, weil diese auch zu einem besseren Miteinander von Flüchtlingen und Einheimischen führen könnten. Und daran sei schließlich allen gelegen.  

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 29. Februar 2024 um 22:15 Uhr.